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Austrian Airlines

Was macht die Hupe in der Fokker?

Einblicke zum Abschied der alten Dame.

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Es ist ein Ende nicht ganz ohne Wehmut. Immerhin waren die Fokker-Flugzeuge seit 29 Jahren ganz wesentliche Bestandteile der Flugbetriebe von Tyrolean, Austrian Arrows und Austrian Airlines. Ende 2015 wurde entschieden, die zuletzt 21 Maschinen der Reihen Fokker 70/100 aus Altersgründen zu verkaufen (vom Turboprop Fokker 50 hat man sich schon vor einigen Jahren getrennt). Mittlerweile gibt es nur noch ein einziges Exemplar, das für die AUA unterwegs ist. Und im Jänner 2018 wird sich auch dieses auf den Weg zum neuen Besitzer – der australischen Alliance Aviation – machen. Letztere wird damit zum weitaus größten Betreiber von Fokker 70 und 100 weltweit.

Bei aller Liebe zu einem mittlerweile fast schon klassischen Flugzeug – es gibt halt mittlerweile deutlich modernere Flieger, die hinsichtlich Passagierkomfort, Kerosinverbrauch und Umweltverträglichkeit in einer anderen Liga spielen. Austrian Airlines hat daher ihre Regionaljet-Flotte auf Embraer 195 Flugzeuge umgestellt. Trotzdem fällt der Abschied von dem holländischen Flugzeug nicht leicht, wie Martina Lehner, Senior der Kabine auf der Fokker und Thomas Herger, Kapitän und Technischer Pilot im Gespräch mit aeroTELEGRAPH erklären.

«Ich bin jetzt 21 Jahre auf der Fokker geflogen – das war eine Zeit, die mich sehr geprägt hat», erzählt Martina Lehner. «Ich war immer sehr gerne mit diesem Flugzeugtyp unterwegs. Auch deswegen, weil die Fokker gerade die richtige Größe hat. Die Kabine ist überschaubar, sodass man viel Kontakt mit den Passagieren haben kann.» Und auch ihr Kollege aus dem Cockpit kann eine gewisse Sentimentalität nicht verleugnen: «Ich war 13 Jahre auf der Fokker, nachdem ich vorher auf der Dash 8-100, -300 und -400 geflogen bin. Sie war also mein erster Jet. Und daher bin ich natürlich auch wehmütig», erzählt Thomas Herger.

Vor 29 Jahren – als die Fokker erstmals in Österreich eingesetzt worden ist – war die mittlerweile alte Dame freilich ein hochmodernes Flugzeug. Sie hatte ein für damalige Verhältnisse – der Erstflug erfolgte 1986 – extrem fortschrittliches Cockpit. «Das Flugzeug war seiner Zeit voraus. Das kann man auch als Spiegelbild der ganzen Fokker-Geschichte sehen: Anthony Fokker hat immer Flugzeuge konstruiert, die für Piloten gemacht sind. Diese Denkweise hat sich nach seinem Tod in den Fokker-Werken fortgesetzt. Man hat sich gefragt, wie kann ich ein Flugzeug für Piloten machen? Das ganze Cockpit war sehr fortschrittlich – und es ist auch heute noch von der Arbeitsweise sehr modern», so Thomas Herger.

Bei vielen Pilotinnen und Piloten hat die Fokker daher auch einen guten Ruf: «Das Flugzeug ist sehr stark automatisiert, hat ein wunderbares Autoland-System, sprich es kann vollständig autonom landen. Es ist in der Bedienung und vom fliegerischen Handling im Gegensatz zu anderen Typen unkritisch zu fliegen. Das gibt dem Piloten natürlich sehr viel Kapazität, um sich auf wichtigere Dinge zu konzentrieren – und das ist aus meiner Sicht ein Safety-Feature. Ich bin die Fokker gerne geflogen – auch deswegen, weil alles logisch aufgebaut und zu bedienen ist», erklärt Thomas Herger.

«Eine technische Besonderheit sind die Speedbrakes, die am Heck angebracht sind – die sind extrem effektiv. Bei anderen Flugzeugtypen sind diese technisch anders aufgebaut und weniger wirksam, daher kann es eher passieren, dass man zu hoch und schnell anfliegt und gegebenenfalls den Anflugweg verlängern oder den Anflug abbrechen muss. Das war mit der Fokker selten ein Thema: Man hat einfach die Speedbrakes ausgefahren. Durch die Position hinten wirken diese auch noch stabilisierend, was bei Turbulenzen recht angenehm war. Wenn man beispielsweise beim Airbus die ‘Speedbrakes’ (Spoilers) auf den Flügeln betätigt, fängt das Flugzeug oft zudem ordentlich zu schütteln an», so der Technische Pilot weiter.

Ein witziges Detail am Rande verrät Thomas Herger auch noch: «Eine Besonderheit der Fokker ist, dass sie im Fahrwerksschacht am Bug eine Hupe eingebaut hat. Es ist nicht nur einmal vorgekommen, dass man das Bodenpersonal erschreckt hat, indem man gehupt hat. Eigentlich ist die Hupe aber dafür vorgesehen, den Ramp Agent herzurufen, der ja immer irgendwo ums Flugzeug herumläuft.»

Und noch eine weitere Besonderheit gibt es, die allerdings auch einen ziemlichen Nachteil hat: «Ungewöhnlich ist auch das Tragflächendesign, wodurch man mit Klappenstellung Null starten kann. Ein Vorteil davon ist, dass man in einer unglaublichen Speedrange operieren kann, ohne im Steigflug das Flugzeug neu konfigurieren zu müssen. Der große Nachteil ist, dass schon recht wenig Eis das Profil aerodynamisch ändert und somit zu Problemen führen kann. Daher gibt es auf der Fokker die Anweisung, dass die Flügel vor dem Start immer schnee- und eisfrei sein müssen. Das Enteisen dauert daher ungewöhnlich lange, weil es im Vergleich zu anderen Mustern extrem gründlich gemacht werden muss», erklärt Thomas Herger.

Mit Eis hatte indirekt auch der einzige wirklich schwere Zwischenfall mit einer Fokker bei Austrian Airlines zu tun: Am 5. Jänner 2004 musste eine Fokker 70 auf einem Acker in der Nähe des Münchner Flughafens notlanden, wobei zum Glück nur drei Leichtverletzte zu beklagen waren. Die Ursache waren damals fehlerhaft verklebte Eisschutzpaneele an den Triebwerken, die sich gelöst und zu einer drastischen Abnahme der Turbinenleistung geführt haben. Das betroffene Flugzeug wurde damals übrigens repariert und fliegt heute noch in Südafrika.

Bei den Kabinenbesatzungen war das niederländische Flugzeug übrigens auch durchwegs beliebt. «Ein großer Vorteil der Fokker war, dass sie sehr leise war – zumindest im vorderen Bereich der Kabine, also in der Business Class. Das hat sich natürlich auch auf das Flugerlebnis positiv ausgewirkt», erklärt Martina Lehner. Zufriedenheit mit dem Muster war auch deswegen wichtig, da es auf immens vielen Strecken eingesetzt wurde. «Wir sind mit der Fokker zu wirklich vielen Destinationen geflogen – beispielsweise nach Dublin, Madrid, Tripolis, Damaskus bis hin nach Helsinki. Lustig war dann, wenn mich Freunde gefragt haben, ob es nicht langweilig ist, mit Tyrolean nur immer zwischen Wien und Innsbruck unterwegs zu sein», so die langjährige Flugbegleiterin.

Der Lieblingsairport von Martina Lehner war übrigens London City – die AUA hat den Innenstadtflughafen der britischen Metropole von 2007 bis 2011 mit speziell ausgerüsteten Fokker 70 bedient: «Es war amüsant zu beobachten, wie ‘gestandene’ Geschäftsleute und Vielflieger bei diesem sehr steilen Anflug aufgeregt aus dem Fenster geschaut haben.»

Bei aller Liebe zu diesem Flugzeug – aber hatte es für die Besatzungen nicht auch ein paar Nachteile? Thomas Herger findet zumindest zwei: «Das Flugzeug hat nur eine Einstiegstüre. Als Pilot war es am Boden mitunter irrsinnig schwierig, hinaus zum Außencheck zu kommen – es ist immer irgendwer im Weg gestanden. Ein weiterer Nachteil war, dass die Toiletten ganz hinten waren – wenn man als Pilot ein dringendes Bedürfnis hatte, musste man durch die gesamte Kabine durchgehen und sich dann oft auch noch anstellen. Das ist allerdings das Interior, das viele Airlines so bestellt haben – das ist Fokker nicht anzulasten.»

Der immer wieder in den Medien genannten angeblichen technischen Unzuverlässigkeit widerspricht der AUA-Kapitän hingegen ganz entschieden: «Ich glaube, dass das total übertrieben wurde. Als Technischer Pilot kenne ich die Zuverlässigkeitsdaten, bei denen sich die Fokker nicht verstecken musste. Sie lag deutlich über 99 Prozent und das war weit über dem Flottendurchschnitt», so Thomas Herger.

Die Tage der Fokker sind nun bei Austrian Airlines jedenfalls endgültig gezählt. Die Abgabe der Maschinen ist allerdings auch eine ziemliche Prozedur: «Das Ganze ist recht komplex. Zuerst einmal muss die österreichische Luftfahrtbehörde bescheinigen, dass das Flugzeug überhaupt flugtauglich ist. Dabei werden beispielsweise die einzelnen Komponenten überprüft – ob sie beispielsweise ein Certificate haben. Danach beginnt die praktische Demonstration, der Functional Check Flight. Dieser technische Abnahmeflug dauert zwei bis drei Stunden – an Bord sind dabei Techniker, Behördenvertreter und die neuen Besitzer des Flugzeuges. Dabei werden unter anderem die Standby-Systeme demonstriert und bewusst hydraulische oder elektrische Systeme abgeschaltet, um zu zeigen, dass die Backups funktionieren. Im Zuge dessen werden auch die Warnmechanismen im Flugzeug getestet – dabei kommt es auch zu recht unangenehmen Flugmanövern, wo wir beispielsweise mit zu viel Schräglage fliegen um zu sehen, ob entsprechende Warnungen richtig funktionieren. Die Checkliste für diesen Flug hat übrigens rund 50 Seiten», schildert der AUA-Kapitän. «Danach unterschreibt und akzeptiert der neue Besitzer. Und es folgen meist noch Umbauten, wie beispielsweise ein neues Interior oder eine neue Lackierung. Der ganze Vorgang dauert rund ein bis zwei Monate.»

Bei aller notwendiger Veränderung, die der Wechsel auf ein neueres und moderneres Flugzeugmuster mit sich bringt, ist der Abschied von einem lieb gewonnenen Flottenmitglied offenbar auch emotional nicht ganz leicht. «Sind sie schon ein bisschen traurig, dass der Flieger wegkommt?» Unisono beantworten Martina Lehrer und Thomas Herger diese Frage mit: «Nein, nicht ein bisschen. Sondern sehr traurig…»