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Flygskam

Muss man sich wirklich fürs Fliegen schämen?

Wer fliegt, schadet dem Klima. Mit dieser Aussage sieht sich die Luftfahrt konfrontiert. Sie hat in der Diskussion keine schlechten Argumente, doch wie verschafft man ihnen Gehör und bringt Emotion und Argument unter einen Hut? Eine Analyse von Michael Csoklich.

Man kann es drehen und wenden wie man will, in der Klimafrage gerät die Luftfahrtindustrie zunehmend unter Druck. Es sind weniger die Fakten, die die Fluglinien in Zugzwang bringen, als Stimmung und Emotionen. Greta Thunberg, die lieber Zug fährt als fliegt, oder die «Flygskam»-Bewegung aus Schweden. Kompliziert wird das Thema, weil die Politik sich zunehmend dieser Emotionen bedient und die Medien diesen Mix dankbar aufgreifen.

Zumindest indirekt ist den Fluglinien das Thema Emissionen schon seit Jahrzehnten wichtig, und sei es aus purem Eigeninteresse. Denn Kerosin wird ständig teurer und die Treibstoffkosten machen bereits bis zu 30 Prozent der Gesamtkosten aus. Jeder Liter Kerosin, den sie weniger verbrauchen, schlägt sich positiv in der Bilanz nieder und reduziert die Emissionen. Die Klimadiskussion des vergangenen Jahrzehnts und das Pariser Abkommen haben bewirkt, dass sich in der Luftfahrtindustrie neben dem Eigennutz die Erkenntnis durchgesetzt hat, aktiv einen Beitrag zur Klimadiskussion leisten zu müssen und zu wollen.

Seit mehr als 10 Jahren liegt ein Schwerpunkt der Weltluftfahrtorganisation IATA auf der Reduktion von CO2. Größter Erfolg dieser Strategie war, dass 2016 die (bei der UNO angesiedelte) Internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO verbindliche Ziele für die Fluglinien beschlossen hat. CORSIA nennt sich das Projekt, demzufolge bis 2050 der CO2-Ausstoß verglichen mit 2005 um 50 Prozent reduziert werden soll. Das entspricht den Klimazielen von Paris. Start ist 2020 mit der standardisierten Aufzeichnung des CO2-Ausstoßes, von 2021 bis 2035 soll die Branche CO2 neutral wachsen und sich der CO2 Ausstoß um 2,5 Milliarden Tonnen oder 164 Millionen Tonnen jährlich reduzieren. Das entspricht dem derzeitigen gesamten CO2 Ausstoß der Niederlande. Ebenfalls bis 2035 sollen 40 Milliarden US-Dollar in einen Klimafonds fließen, mit dem Geld sollen CO2-Überschüsse in Form von Klimaprojekten neutralisiert und finanziert werden.

Aktuell sei die Luftfahrt für zwei Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich, sagt die IATA. Andere Zahlen sprechen von vier, ein paar wenige von acht Prozent. Laut IATA hat sich der CO2-Ausstoß pro Passagier seit Mitte der 90er Jahre halbiert. Weil sich weltweit aber die Zahl der Passagiere in diesem Zeittraum vervielfacht hat, hat sich der CO2-Ausstoß insgesamt im selben Zeitraum verdoppelt, sagt EU-Kommissarin Violeta Bulc.

Was können Fluglinien nun tun, um die CO2-Ziele zu erreichen? Zunächst einmal das, was sie seit vielen Jahren machen. Weiter viel Geld zu investieren in neue leichtere Flugzeuge mit effizienteren Triebwerken, die bis zu 20 Prozent weniger Sprit verbrauchen, weniger CO2 ausstoßen und die auch viel leiser sind. Lufthansa Chef Carsten Spohr bezeichnet die laufende Modernisierung der momentanen Flotte von fast 800 Flugzeugen mit effizienteren Maschinen als «auf absehbare Zeit» größten Hebel, um möglichst umweltschonend zu fliegen. Der Konzern plane den Zugang von 221 neuen Flugzeugen bis 2027 und investiere dafür jedes Jahr hohe Milliarden-Beträge. Das machen praktische alle (profitablen) Fluglinien.

Schwieriger ist es schon, den kürzesten Weg zwischen A und B zu fliegen, keine Warteschleifen zu drehen und weniger Verspätungen zu produzieren. Da liegt der Ball überwiegend bei der Luftraumkontrolle. Die IATA hat ausgerechnet, dass 2018 die Verspätungen in Europa 19,1 Millionen Minuten oder 36 Jahre betragen haben. Das hat den CO2-Ausstoß um 5,6 Prozent erhöht. Ins Spiel kommt da die Politik. Der Ruf der Fluglinien nach mehr Lotsen und weniger Streiks verhallt bei ihr seit Jahren ungehört. Seit 20 Jahren wird über einen einheitlichen und damit effizienten europäischen Luftraum (Single European Sky) geredet, passiert ist wegen der Wahrung nationaler Interessen bisher praktisch nichts. Allein damit könnte die Lufthansa-Gruppe jährlich drei Millionen Tonnen CO2 einsparen. Übrigens: weitgehend unbekannt ist, dass die europäischen Fluglinien seit sieben Jahren in den europäischen CO2-Zertifikatehandel eingebunden sind.

Die Politik in die Pflicht nehmen will die Luftfahrtindustrie auch beim Thema nachhaltige, alternative Treibstoffe. In kleinen Mengen werden sie schon eingesetzt und können die Emissionen um bis zu 80 Prozent senken. Um das in großem Stil und den benötigten Mengen aufziehen zu können, sind aber Milliardeninvestitionen in Forschung und Entwicklung sowie Infrastruktur notwendig. Roadmaps für eine nachhaltige Luftfahrt gehören entwickelt. Darüber hinaus müssen für Flugzeuge und Triebwerke neue Technologien entwickelt werden. Der Einsatz von elektrisch angetriebenen oder Hybrid-Flugzeugen wird schon erprobt.

Soll das Ziel, bis 2050 den CO2-Ausstoß zu halbieren, gelingen, wird eine Kombination aus allem und der gute Wille aller benötigt werden. Es muss die Erkenntnis reifen, dass Flugtickets um 10 Euro keine Zukunft haben (dürfen). Diese Tickets erzeugen eine künstliche Nachfrage, ruinieren den gesunden Wettbewerb und niemand verdient damit Geld. Nach Ansicht von Lufthansa-Chef Carsten Spohr untergraben sie schleichend die gesellschaftliche Akzeptanz des Luftverkehrs. Solche Billigtickets «sind aus meiner Sicht ökonomisch, ökologisch und auch politisch unverantwortlich», so Spohr.

Langsam entdeckt die Luftfahrtindustrie, dass sie beim Thema CO2-Reduktion Erreichtes und Geplantes viel besser kommunizieren muss. Umweltschutz muss Teil der Marketingstrategie werden, damit die Menschen wissen und verstehen, was passiert. «Wir müssen transparent ausschildern, wie wir das Ziel, die Emissionen bis 2050 zu halbieren, erreichen wollen», sagt IATA Generaldirektor Alexandre de Juniac.

Das Umweltproblem lässt sich nicht wegreden. Die Forderung von (EU-)Politikern, Kurzstreckenflüge abzuschaffen, scheint wenig konstruktiv zu sein. Umstritten, aber populär, ist die Forderung nach einer CO2-Abgabe für Fluggesellschaften. Was bewirkt sie, wen trifft sie? Kann sie halbwegs wettbewerbsneutral eingeführt werden? Die Argumente und Zahlen sind, je nach Blickwinkel, vielfältig bis widersprüchlich. Sehr bescheiden ist übrigens der Erfolg bei jenen Programmen, mit denen Passagiere freiwillig den CO2-Ausstoß ihres Fluges kompensieren können. 40 Fluggesellschaften bieten solche Programme an. Nur ein Prozent nimmt sie in Anspruch.

«Noch nie war die Aufmerksamkeit für das Thema Fliegen und Umwelt so groß», sagt Michael Gill, IATA Direktor für Umweltfragen. «Es ist gut, dass sich junge Menschen mit den Fragen auseinandersetzen. Aber wir wollen, dass sie wissen, dass sich die Luftfahrt mit Nachhaltigkeit und der Reduktion von CO2 sehr auseinandersetzt und dass es keinen Grund gibt, sich für Fliegen zu schämen.»